Das war mal eine Antwort auf einen Kommentar, aber ich glaub als Post ists sinnvoller:
Woher kommt eigentlich diese Idee etwas als Narrativ zu bezeichnen und das als was Schlechtes zu meinen?
Ich mein die Frage genuin, aber vermute eine gewisse Kluft im Verständnis, daher etwas Erläuterung meines Verständnisframeworks hier: Alle Nachrichten bzw. aller Journalismus hat notwendigerweise narrative Funktionen, ähnlich wie alle Sachen Farbe oder Temperaturen haben. Oder analog zur Datenanalyse: Wenn ich Datenpunkte habe (welche bereits mit Bedeutung aufgeladen sind wegen der Messentscheidungen) kann ich damit quasi unendlich viele Dinge anstellen, seien es deskriptive summary statistics oder Inferenzstatistik oder Datenvisualisierung: Immer reflektieren meine Entscheidungen meine Annahmen und Prioritäten.
Wenn ich nen t-Test auf zwei Gruppen werfe priorisiere ich Gruppenunterschiede im Erwartungswert statt z.B. Variabilitaetsunterschiede. Wenn ich ausschließlich lineare Zusammenhänge in meiner Regression hab ziehe ich komplementär alle anderen Formen gar nicht in Betracht. Wenn ich nen Scatterplot hinklatsche muss ich mich entscheiden ob ich linear skaliere oder z.B. logarithmisch. Zentrier ich alles um 0 oder schneid ich alles so ab dass die Punktwolke in der Mitte ist?
Zurück bei Journalismus: Die Auswahl und Betonung davon was als berichtenswert genommen wird allein konstituiert Narrative. Es gibt keine Neutralität, denn es gibt kein Bedeutungsnull. Eine mögliche positive soziale Funktion kann es eben sein diese Bedeutungskonstruktion in ein mehr oder weniger sinnvolles und reflektiertes Wertesystem einzubinden was dann eben auch kritisches Engagement mit verschiedenen Narrativen inklusive der eigenen Rolle dabei erfordern kann. Aber das geht halt nur gut wenn man anerkennt, dass man das macht.
Letztlich ist meine Frage aber kleiner: Woher kommt diese Sprachpraxis? Ist das ne fefe-Sache?
Wenn ich Datenpunkte habe
Und da hapert’s schon, die meisten haben keine Datenpunkte. Zumindest keine, bei denen sie sich herab lassen würden, uns darüber aufzuklären. Die haben nur eine Geschichte die sie erzählen wollen und das wird dann halt gemacht. Deshalb geht es nicht darum, dass Berichte grundsätzlich narrativen Charakter haben oder dass die Schwerpunkte setzen, sondern darum, dass nur noch das Narrative existiert und über allem steht. Keine Fakten, kein Einordnung, nur die Geschichte, die erzählt werden soll… meist ist das übrigens einfach nur die, die am meisten Klicks bringt; Wahrheitsgehalt nebensächlich. Man kann das schon irgendwie schwammig genug ausdrücken oder framen, dass man rechtlich nicht belangt werden kann. Und wenn doch ein Widerruf her muss, liest den eh keiner. Und wenn man Glück hat oder nur penetrant genug ist, wird das Narrativ dann auch noch von genug Leuten nachgeplappert, dass man nicht nur verschleiern kann, wo es herkam, sondern auch gleich nicht mal mehr seine Lügen belegen muss. Die sind jetzt schließlich plötzlich akzeptiertes Allgemeinwissen.
Ich vermute bei dem Vorwurf geht es immer darum, die eigene Sichtweise als rational, realitätsnah und objektiv einzuordnen und andere als subjektive Meinung oder interessengesteuert darzustellen. Da gibt es verschiedene psychologische Effekte, dass Menschen sich selbst für besser informiert und rationaler halten, egal ob sie das sind.
Du hast schon recht, dass es eigentlich nicht darum gehen muss, Narrative abzuschaffen, sondern die richtigen zu wählen. Ich hätte auch gerne Narrative, die sich an unseren Werten und an der wissenschaftlich untersuchten Realität orientieren und nicht an politischen oder wirtschaftlich gut bezahlten Interessen. Die kein False balancing betreiben und zu jedem Wissenschaftler einen Leugner einladen, und die Politiker-O-Töne nur abdrucken, wenn sie sie auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen und einordnen.
Sehe ich genauso. Mit Narrativen arbeiten immer nur die anderen, d.h. diejenigen, deren Narrative man nicht mag. Eng verwandt mit dem Trugschluss: “das stand in Zeitung XY, das darf ich nicht als Argument gelten lassen.”
Naja, letzteres würd ich schon was kontextsensitiv sehen - globale Quellenbeurteilungen (also global für die Quelle) sind schon wertvoll um einordnen zu können ob etwas die Zeit und Mühe wert ist sich näher damit zu beschäftigen. Das wiederum ist abhängig vom Zweck - Bildartikel sind für allgemeines Wissen über Geschehnisse eher ungut aber für eine Kritil der dominanten Medienlandschaft wieder relevanter. Manchmal hats dann auch Themen-Quell-Interaktionen wo eine Quelle für bestimmte Themen einfach weniger sinnvoll ist als für die meisten anderen, und seis nur wegen ner seltsamen Person im spezifischen Ressort.
Auch würd mich interessieren, was an der Frage/Position so unbeliebt ist, in Anbetracht der downvotes. Ich würd vermuten, dass es nen Zusammenhang zwischen Position und Wahlverhalten gäbe, aber spontan würd mir nichts Plausibles bezüglich der Substanz des Zusammenhangs einfallen.
Wer “Narrativ” als Vorwurf benutzt, der meint vermutlich einfach, dass er andere Dinge oder Aspekte für berichtenswert hält. Wenn man das so sagt, ist es aber nicht so emotional wie Sprecher/Schreiber sich gerade fühlt, also wählt man einen vorwurfsvolleren Ausdruck.