Der AfD-Spitzenkandidat begründet seine Politik auch spirituell. Er nutzt eine rechtskatholische Gemeinschaft, die sich sogar um Verbote des Papstes kaum schert.
Sonntags um halb elf kniet die katholische Gegenrevolution im Wedding. Dann ist die Berliner Kirche St. Afra voll bis in die Seitenschiffe, während andernorts die Gotteshäuser leer sind und die Stimmung trübe. Überhaupt ist manches anders im Institut St. Philipp Neri, wie sich die Priestergemeinschaft nennt, zu der die Stiftskirche St. Afra gehört. Hier beugt das Knie, wer seinen Platz sucht in der Bank. Hier tragen Frauen Kopftuch. Hier sind viele konservativ, katholisch und wollen Avantgarde sein, und zur Avantgarde gehört, wer die Alte Messe feiert. Die Predigt ist auf Deutsch, die restlichen fast anderthalb Stunden wird hier im Berliner Wedding Latein gesprochen und gesungen.
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Und das war es jetzt … nein, noch nicht ganz. St. Afra an jenem Sonntagmorgen: Wieder knien, wieder singen, wieder stehen, kurz verbeugen und dann gehen. Am Tischchen vorbei geht’s raus. Wie jung hier alle sind und wie gut angezogen. Kein Vergleich zur Ü60-Kirche anderswo. Drei Gottesdienstbesucher um die zwanzig nehmen den Weg Richtung S-Bahn. Keine blaue Arbeitshose, kein Unterhemd. Dafür Sneaker, Seitenscheitel, teures Hemd unterm teuren Pulli. Alles ist Ton in Ton, und doch stimmt’s nicht. Vielleicht liegt es an der guten Laune. Daran, wie die drei über die CDU witzeln (“viel zu weich”), über fremdländische Männer (nicht zitierbar), über Frauen (schon gar nicht zitierbar) und über Geld und wie schön es ist, es zu haben.
Alles wird bewertet, abgewertet, lächerlich gemacht. So spricht das Ressentiment der Privilegierten. Es kompensiert keinen tief sitzenden Frust, keine reale oder gefühlte Deklassierung. Es ist die inszenierte Unangreifbarkeit. Die Szene nach dem Gottesdienst ist ganz anders als das Sylter Partyvideo, das einige Wochen später weit verbreitet werden wird – und doch erinnern sie einander, die beiden Auftritte junger Leute, die berauscht sind von sich selbst.
Am 9. Juni ist Europawahl. Danach wird wahrscheinlich wieder gerätselt werden: Wie war das möglich mit der AfD? Lag’s am Osten, an der EU, an Merkel, Scholz, den Grünen, an der Selbstgewissheit der Bundesrepublik acht Jahrzehnte nach der Stunde null? Dann ist wieder Untergangsstimmung. Doch an diesem Sonntagmorgen ist der Himmel blau und Berlin noch gar nicht richtig wach. Die Welt könnte so schön sein, so friedlich. Aber der Geist dieser Rechtsgläubigen ist es nicht.
Man sollte sich nicht täuschen lassen. Von diesen rechten Christen geht eine Gefahr für unsere Freiheit und unsere Demokratie aus. Nur weil es in den USA schlimmer ist, ist es hier nicht harmlos.
Tatsächlich wählen Christen nur unterdurchschnittlich AfD. Eine Studie der Universitäten Bern und Leipzig beschrieb 2020 die “immunisierende” Wirkung des christlichen Glaubens. Nur gilt die nicht für Rechtskatholiken und -protestanten, etwa für rechte Pietisten. Dort wird das Kreuz, wie der Soziologe Jan-Philip Steinmann in der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie schreibt “mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit bei rechtspopulistischen Parteien” gemacht.
Könnte das vielleicht daran liegen dass Christen überdurchschnittlich die Unionsparteien wählen und durch deren politische Ähnlichkeit zur AfD seltener dorthin wechseln als Leute aus anderen Teilen des politischen Spektrums die dann im Zweifelsfall bei Radikalisierung die Union direkt überspringen und zur AfD gehen?
Nein. Ich denke, dass Christen Gott an erster Stelle sehen und keiner radikalen, autoritären Menge anheim gehen. Nenn diese AfD, NPD oder SED oder gar NSDAP.
Ich lese grade ein Buch in dem nachgezeichnet wird, wie Rassismus durch den Sklavenhandel entstanden bzw befördert wurde. Ich dachte immer es wäre kausal andersrum gewesen. Nun, den Christen in Europa war es moralisch nicht geheuer, Menschen wie Ware zu handeln. Es gab ja auch keine Sklaven in Europa zu der Zeit. Die Lösung des moralischen Dilemmas war die „Erfindung“ von Untermenschen. Da war die kognitive Dissonanz gelöst.
Zurück zum Thema: Die Rechtschristen sind irgendwie was anderes. Keine Ahnung was. Enge Verquickung von Politik und Religion.
Ich denke, dass Christen Gott an erster Stelle sehen und keiner radikalen, autoritären Menge anheim gehen.
Soweit ich das beurteilen kann ist es eher anders herum. Die meisten Christen (und anderen Religiösen was das angeht) scheinen Gott als Autorität zu betrachten wenn es um Aussagen geht die sie eh glauben wollten und zu ignorieren wenn es um Aussagen geht die sie nicht glauben wollten. Anders lässt sich auch die Vielfalt der Auslegungen ein und desselben religiösen Buches nicht wirklich erklären.
In der Bibel seht allerdings „Du sollst keinen Menschen töten“ und auch das Mitgefühl und Mitleid wird stark betont. Das passt mit autoritären Konzepten nicht zusammen.
Ich lese grade ein Buch in dem nachgezeichnet wird,
Darf ich fragen wie das Buch heißt?
„Debt“ von David Graeber. Es geht um Geld und Schulden und die Verflechtung von moralischen Schulden mit finanziellen Schulden. Also zB. „warum muss man Schulden zurückzahlen“ Schwer interessant wie sich das Konzept Geld über die Menschheitsgeschichte entwickelt hat. Geld entstand nicht, wie uns die Ökonomenzunft weiß machen will, weil Jäger und Sammler miteinander zu tauschen anfingen. Nein, es war primär mit der Religion und Macht verbunden und führte idR zur Knechtschaft der Nicht-Besitzenden. So wie heute 😞
Sklaverei gabs immer schon und in allen Teilen der Welt. Die alten Römer waren da auch sehr aktiv. Haben btw die Christen beendet. Im Mittelalter gab es keine Sklaven mehr.
Ist kein Buch für so nebenbei, eher für ab und an. Hat aber meine Neuronen aktiviert und ich sehe einiges mit anderen Augen nun. Stichwort Geld, Schulden und Lohnarbeit.